Ein Araber, ein israelischer Soldat und eine Straßensperre

Der Fahrer ist Araber. Viele Fahrer der Linie 101 sind Araber. Die Meisten kenne ich schon, aber nicht diesen.  Woher ich weiß, dass er Araber ist? Ich sehe es. Frag mich nicht woran, es ist die Übung. Nein, es hat absolut nichts mit Rassismus zu tun! Man gewöhnt sich daran die feinen Unterschiede wahr zu nehmen. Genauso, wie ich kein Problem habe deutsche Touristen von weitem zu identifizieren und von dänischen oder holländischen zu unterscheiden. Genauso, wie ich russische oder französische Immigranten erkenne ohne, dass sie den Mund aufmachen, und Amerikaner herausfiltern kann. Das Unterbewusstsein nimmt die Unterschiede in Körpersprache, Gesichtsausdruck usw. auf. Irgendwann beginnt man intuitiv Fremde damit einzuordnen. Wenn man mit Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern umgeben ist, kriegt man darin Übung.
Das nur nebenbei.

Es ist 12 Minuten vor Sieben Uhr am Abend. In genau 2 Minuten ist Abfahrtszeit. Aber: die Autobahn nach Jerusalem ist zu. Die Polizei hat die Auffahrt gesperrt und so sitzen wir und warten. Jeder auf seinem Doppelsitz, die Köpfe über den Smartphones hängend. Es kann dauern.

Um genau 10 Minuten vor Sieben steht ein Soldat auf und geht nach vorne. Er ist Berufssoldat mit einem nicht ganz niedrigen Rang. Man sieht es an seinem Alter und der Uniform. Am Gürtel hat er einen Pistolenhalter mit Waffe. In der Hand hält er sein Handy. Er steuert direkt auf den arabischen Busfahrer zu. Sein Gang ist aufrecht und bestimmt, wie es einer Person mit einer gewissen Autorität gebührt. Mit ruhigem Schritt macht er seinen Weg durch den stillen, schwach beleuchteten Bus bis er bei dem Araber angelangt ist. Er beugt sich leicht zu ihm nieder. „Waze hat mir hier eine alternative Route angezeigt.“ Der Soldat weist mit dem Finger auf die Navigations-App auf seinem Handy. „Wir könnten den Stau umfahren“. Der Busfahrer schaut ihn mürrisch von der Seite an, gerade genug um sich der Uniform bewusst zu werden. „Die Polizei hat die Straße gesperrt, wegen Unfall. Da komme ich jetzt gar nicht rauf!“ Warum soll er sich von einem Fahrgast etwas sagen lassen, selbst wenn er Offizier ist?! Von ihm aus können wir warten, bis die Straße geräumt ist, er ist schließlich nicht auf dem Weg nach Hause, sondern macht nur seine Arbeit. „Ja, das ist mir klar“, erwidert der Uniformierte mit sehr viel Ruhe, „aber wir brauchen nicht auf die Autobahn, es gibt eine andere Möglichkeit. Schau, du brauchst nur Waze zu folgen.“ In Israel gibt es kein ‚Sie‘, wir sind alle per ‚Du‘. Und wir sind alle immer mit Waze ausgestattet, sobald wir das Haus verlassen.

Der Busfahrer murmelt weiter unmutig. Er will warten, bis die Polizei die Autobahnauffahrt frei gibt und will keine Abenteuer. Der Fahrgast erklärt ihm mit einer bewundernswerten Geduld in der Stimme, warum es sich lohnt die Umleitung zu fahren, denn laut Waze dauert die Fahrt auf dieser Strecke gar nicht viel länger als die normale Route ohne Stau. Langsam lässt sich der Mann am Steuer beeindrucken und irgendwann entscheidet er die Zentrale anzurufen und nach Rat zu fragen. Es geht hin und her. Der Soldat sitzt hinter ihm, mischt sich nicht ein und wartet. Alle warten gespannt.

„O.k., wir können los fahren“, bestätigt der Araber, noch immer etwas unsicher, „also zeig mal, wie ich fahren muss“. Jetzt schaut er dem Fahrgast in IDF-Uniform zum ersten Mal ins Gesicht. Dieser hält ihm sein Handy hin und sie besprechen gemeinsam die Fahrtroute. Kurz danach sind wir auf dem Weg. In den folgenden 20 Minuten werden wir von einem Arabischen Fahrer und einem Israelischen Soldaten auf Umwegen in Richtung Jerusalem navigiert. Ich wünschte ich könnte das fotografieren.

28 Gedanken zu “Ein Araber, ein israelischer Soldat und eine Straßensperre

  1. Klasse !!!!!
    Ich versuche mir grad vorzustellen, ob es sowas in D auch geben würde. Ich denke, eher nicht. Denn dazu müsste der Busfahrer etwas von seinem Hohheits-Feld hergeben. Da könnte je jeder kommen, und ihm was sagen wollen. Denn schließlich ist er ja „der Chef von det janze“.

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    1. Ein anderer Fahrer haette hiet selbst zum WAZE gegriffen und die Route gefunden. Das habe ich schon mehrmals erlebt. Da dieser es nicht tat, deshalb ergriff ein anderer die Initiative. Die Situation erinnerte mich datan, was ich an diesem Land liebe.

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  2. In Hamburg macht das sofort die Leitstelle der Hochbahn… da muss selbst die Polizei warten… deine Alltagsblickwinkel sind eindringlich beschrieben und für mich wie eine Sternenbrücke zwischen deiner Stadt und meiner… liebe Grüße Rita 😀

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  3. Liebe Ruth,
    erst hab ich Schiß gehabt, wo das hinführt und am Schluß Pippi in den Augen. Danke für diese wunderbare Geschichte…besonders die Geduld des Soldaten…
    Ich wünsch Dir einen schönen Abend, liebe Grüße
    Andrea

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  4. übrigens das mit den Unterschieden und schnellen Erkennen, kann ich nachvollziehen. Es ist schon interessant, wie sich die Wahrnehmung verändert! Klasse Geschichte ! Liebe Grüße, Ann

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  5. Ja, das improvisieren sitzt ganz deutlich im Blut! 😉

    Schöne Beschreibung in ganz andere ‚Farben‘ als die Nachrichten die man normalerweise zu hören kriegt hier… Ich bin immer wieder froh dass ich deinen Blog gefunden habe 🙂

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    1. Solche und aehnliche Szenen sind hier keine Seltenheit. Tausende Solaten und Araber fahren taeglich gemeinsam in oeffentlichen Verkehrsmitteln umher, sie kaufen in den selben Supermaerkten, begegnen sich in Banken und Postaemtern in wechselnden Rollen. Arabische Aerzte behandeln israelische Soldaten, israelische Krankenschwestern pflegen Araber, sogar palestinensische Terroristen. Arabische Ingenieure arbeiten in High-Tech Firmen mit ihren israelischen Kollegen, die einmal im Jahr fuer drei Wochen ihren Millitaerdienst verrichten. Wenn man die Politik weg laesst, gibt es in persoenlichen Interaktionen normalerweise keine Probleme. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass Du und all die anderen meine Alltagsgeschichten liest. LG, Ruth

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      1. Und ich persönlich bin froh, dass Du sie schreibst. Wie sonst sollten wir einen realen Eindruck von den Geschehnissen erhalten? Ich finde es sehr schade, dass, wenn denn mal etwas in den Medien zu sehen ist, lediglich Bilder von Anschlägen zu sehen sind. Es gibt auch ein „miteinander“ und nicht nur ein „gegeneinander“.. LG, Sónia

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      2. Nun, die Medien müssen sich verkaufen und schreiben, was die Leute „heiss macht“. Das „Miteinander“ ist nicht aufregend genug. Auch positiven Sachen über Armee oder Soldaten sind nicht aufregend, da kann sich keiner in Deutschland mit identifizieren. Ist verständdlich. Ich glaube die meisten Leute wollen Dinge lessen, die auf die Tränendrüse gehen.

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    1. Danke. Fuer uns ist das der normale Alltag, nicht die Ausnahme. Soldaten gehoeren zum normalen Stadtbild, genauso, wie Araber. Ich habe gerade auch ‚adriasuno‘ etwas dazu geantwortet. Ich weiss, dass es von Europa aus durch die Medien anders aussieht und man einen verzerrten Eindruck bekommen muss. Deshalb freue ich mich, dass Du (und die anderen Leser) meine Alltagsggeschichten lest. LG, Ruth

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      1. Genau das gefällt mir auch an deinen Geschichten.
        Wenn man immer nur das Schreckliche liest oder in den Nachrichten hört, dann verzerrt sich das Bild mit der Zeit doch ziemlich.

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    1. Nö, für Israelische Verhältnisse ist das nicht so außergewöhnlich. Improvisieren ist Teil des normalen Ablaufs.
      Sorry, WAZE ist ein Navi-App. Sehr akkurat und hilfreich und für Israelis nicht aus dem Verkehr wegzudenken 🙂

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