„Der letzte der Mohikaner ist nicht mehr“ klingt die ernste Stimme des Erzählers durch die dunkle Stille des Kinderzimmers. In den langsam gesprochenen Worten kommt die unabwendbare Endgültigkeit dieses Satzes in all seiner Tragik zum Ausdruck. Die Bedeutung dieser folgenschweren Tatsache breitet sich in der Leere des Raumes aus und begleitet mich in den Schlaf.
Es war eine meiner Lieblingsschallplatten, mit denen ich aufwuchs. Mein Bruder legte sich eine Reihe Bücher über Indianer und deren Geschichte zu. Mir blieb hauptsächlich dieser eine, letzte schwerwiegende Satz in die Erinnerung gebrannt. Die Stimme von Hans Pätsch kannte ich aus vielen Hörspielen, seine besondere Art zu erzählen machte jede Geschichte zum Erlebnis, entflammte die Vorstellungskraft eines jeden Kindes. Vielleicht erinnert sich der Eine oder Andere noch an diese wundervollen Schallplatten. Meine Lieblimgsplatte war „Das Wirtshaus im Spessart“. Aber es gab etliche, die wir immer und immer wieder hören konnten.
Die Geschichte des letzten Mohikaners von James Fenimore Cooper wurde zum Symbol für den Untergang der amerikanischen Indianer, aber auch ein Tribut zu deren Kultur und Werten. Sie wurde zu einem Dankmal an die verloren gegangene Welt der Ureinwohner des nordamerikanischen Kontinents und gab ihnen ein wenig von ihrem geraubten Stolz zurück. Der letzte Mohikaner wird auch anderswo symbolisch eingesetzt, eben als letzter stolzer Vertreter einer ehrwürdigen Menschengruppe und den Verlust derer Weisheit. „Der letzte Mohikaner“- das Ende einer Ära.
„Schimon Peres ist nicht mehr“ war der erste Satz, der mir in den Kopf kam, als wäre er von Hans Pätsch gesprochen, in die dunkle Stille der Nacht hinein und in deren Leere sich endlos ausbreitend. Der letzte Gründervater des Staates Israel. Schimon Peres, viel ist über ihn gesagt worden, viel geschrieben. Etliche Errungenschaften für Israel und die Welt, sei es auf politischer, sozialer, ökonomischer, wissenschaftlicher oder persönlicher Ebene hat er für sich zu verzeichnen. Bücher werden über ihn geschrieben werden, Straßen nach ihm benannt.
Vor allem aber war er ein bewundernswerter Mensch. Er wurde des Öfteren ein wenig scherzhaft als „loser“ bezeichnet, weil er immer nur bestenfalls auf dem zweiten Platz zu landen schien, wenn es um bedeutende Ämter, wie das des Regierungschefs ging. „Das ist nicht wichtig“, pflegte er zu sagen. „Wichtig ist, dass ich für den Frieden und für diesen Staat alles tue, was in meiner Kraft steht. Das werde ich weiter tun, egal, ob als Regierungsoberhaupt oder aus jeder anderen Position.“ Und so war es. Als Präsident, Parteiführer, Minister oder pensioniertes Knesset Mitglied setzte er sich für den Frieden und die Förderung des Staates Israel ein. Was er tat, tat er, weil er an den Frieden glaubte, nicht an sich selbst. Die Forschung förderte er, denn dort sah er die Zukunft. Nicht, um seinen eigenen Names gewürdigt zu sehen, sondern für eine bessere Zukunft.
Er war einer derjenigen Politiker, die noch eine Vision hatten und sich selbst nicht für wichtiger hielten als diese. Das ist es, was ihn zum „letzten Mohikaner“ macht. Er gehörte noch zu einer Generation von Politikern, für die ein Skandal Grund genug war, das Amt niederzulegen, die sich als Repräsentanten der Bürger sahen und diese respektierten. Heute jagt ein Skandal den anderen, Bürger sind nur Wählerstimmen, die gewonnen werden müssen. Die Person steht im Mittelpunkt, politische Inhalte und Ziele sind zu Werbemitteln geworden. In Israel erzählt Bibi an Peres‘ Grab mehr über sich selbst als über den Verstorbenen. Die deutsche Demokratie hat eine „Mama“. In der Türkei inszeniert Erdogan im Alleingang seine Version der Demokratie. In den USA stechen sich monatelang zwei Kandidaten gegenseitig in einer Mischung aus Championship und Reality Show aus. Wer sich am besten verkaufen kann, hat das Sagen. Diejenigen, die unsere Interessen als Bürger vertreten sollen, stellen sich selbst ins Rampenlicht. Die Medien wühlen in ihren Privatleben nach Gossip, denn auch sie müssen sich verkaufen.
Shimon Peres hat das nicht mitgemacht. Bis zu seinem letzten Tag hat er sich für das eingesetzt, woran er glaubte. Er verstand sich als Diener und als solcher kämpfte er nie für seinen eigenen Ruhm, sondern für Chancengleichheit, Fortschritt und in erster Linie für Frieden. Jeden Menschen respektierte er unabhängig von Glauben, Abstammung, Hautfarbe oder politischer Einstellung. In jedem Konflikt sah er eine Chance, jeden Rückschlag nahm er als Herausforderung an. Denn er nahm es nicht persönlich. Es ging für ihn immer um etwas Größeres, Wichtigeres.
Ein Mann mit Integrität. Er ist nicht mehr und ich weiß nicht, ob es solche noch in der Politik gibt.
Ein sehr schönes Abschiedswort für einen grossen Menschen…
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Ja, ein aussergewoehnlicher Mensch.
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