Kunst zwischen Angst und Tod

Das wollte ich schon lange mal tun: eine Fotoserie der Graffiti auf den freistehenden Bünkerchen, die im südlichen Teil Israels überall verstreut stehen.

Bei unseren vielen Touren durch das Land fielen sie mir immer wieder ins Auge. An jeder Bushaltestelle, an Straßenecken und manchmal an unscheinbaren Orten stehen, was man „Migunit“ nennt – frei übersetzt bedeutet das „kleine Abschirmung“.

Ein Migunit ist ein kleiner, frei stehender Luftschutzbunker (normalerweise ohne Türen oder Fenster), der Menschen, die sich gerade im Freien bewegen, Schutz vor Hamas-Raketen bieten. Zum Beispiel, Kinder auf dem Heimweg von der Schule, Radfahrer beim morgendlichen Sport, Opa beim Spaziergang mit dem Hund, oder junge Musikfestivalbesucher.

Diese Betonbauten sind nicht zu übersehen, denn alle sind wunderschön bemalt.

Ich fand immer, sie bieten eine faszinierend surrealistische Ansicht. Es sind Orte der Angst, aber sie bieten Schutz und müssen leicht auffindbar sein. Also hat man sie wenigstens visuell einladend gemacht. Das gesamte Konzept ist für Israel sehr einzigartig und bezeichnend.

Ich hatte mir vorgenommen, einen Ausflug zu machen, speziell um einige dieser Kunstwerke zu fotografieren, kam aber bisher nicht dazu. Jetzt bin ich dankbar, dass jemand anders es getan hat. Ich habe das Foto-Essay von Cori Shalit, das nach dem 7. Oktober veröffentlicht wurde hier übersetzt:

Die bemalten Bünkerchen repräsentieren Widerstandskraft.  – besonders jetzt, wo sie mit jüdischem Blut befleckt sind. Ein Fotoessay von Cori Shalit .

 

FOTOESSAY: Die wunderschönen Luftschutzbunker der Gaza-Umgebung

Am 4. März 2022 eröffnete ich meinen Instagram-Account @bombsheltersofisrael, um die Meguniot, („Luftschutzbunker“ im plural auf Hebräisch) im Grenzgebiet um den Gazastreifen zu dokumentieren.

Ich dachte immer, diese Luftschutzbunker seien ein Symbol – ein sozialer Kommentar zur Dissonanz zwischen einem künstlerischen Gemälde und der unheimlichen Realität, in der die Bewohner der Otef-Gaza (Gaza-Umgebung) leben. Die Menschen im Otef sind Raketenangriffe gewohnt und sobald sie die Sirenen des allzu vertrauten ‘Roten’ Alarms hören, rennen zum nächsten Migunit. Die Sirenen verkünden, dass ihnen nur wenige Sekunden bleiben, bis eine Rakete in ihrem Gebiet einschlagen wird.

Trotzdem war das Leben im Otef wunderschön.

Bis zum 7. Oktober.

Bunker in Gaza-Umgeung, Bildnachweis: Cori Shalit

Ich lebte in einem Kibbuz im Otef, und auch in der IDF war ich an der Grenze stationiert. Ich liebte die Menschen in den Kibbuzim und ihre unbeschwerte Lebensweise – Eltern ließen ihre Kinder barfuß in der ruhigen und scheinbar sicheren Luftblase des Kibbuzlebens herumlaufen. Jeder kannte jeden.

Ich lebte dort mit Freunden und anderen englischsprachigen Olim (Immigranten) und genoss den Sonnenschein, die Obstbäume, die Einfachheit der Lebensweise und die Natur.

An dieser Stelle befindet sich im Originalartikel ein Video mit dem Titel „Gemeinsam in der Hölle“, in dem Überlebende ihre Geschichten erzählen.

Kinder in einem Kibbuz an der Grenze zum Gazastreifen bemalen einen Luftschutzbunker, Bildnachweis: Cori Shalit

Ich liebte es, Fotos von den Bunkerbauten zu machen, die zwangsläufig überall in der Gegend verstreut sind (Du gehst keine zwei Minuten, da siehst Du schon den Nächsten). Sie sind Zeichen unserer Widerstandskraft und unserer Entschlossenheit, unser zu Hause, das Land unserer Vorfahren, in das wir zurückgekehrt sind, weiter aufzubauen. Und das schließt die sogenannte „Peripherie“ Israels ein, die aufgrund der Nähe zu feindlichen Nachbarn weniger beliebt ist [wie die Otef, und die Grenzgegend zum Libanon im Norden.]

Israelkarte auf einem Bunker nahe der Grenze zum Gazastreifen, Bildnachweis: Cori Shalit

Die Bunker haben mich immer begeistert. Ich finde sie intellektuell inspirierend. Man kann sie aus verschiedenen Perspektiven betrachten, und Gedanken in alle Richtungen schweifen lassen. Sie erzählen vieles: über den Preis des Zionismus, den Preis dafür, Jude im jüdischen Staat zu sein, und letztendlich über den Preis des Abzugs aus Gaza.

Die Wahrheit ist wohl, dass es immer Bedrohungen für unsere Lebensweise geben wird. Das lehrt uns die jüdische Geschichte, denn es war schon immer so. Und was hindert diese Prophezeiung daran, für immer an uns hängen zu bleiben? Aber sie bezeugt auch, dass wir trotz aller Erschwernisse weiterhin prosperieren werden.

Bunker im Kibbuz Erez. Kaktus-Früchte sind ein israelisches Nationalsymbol und repräsentieren einheimische Israelis, die außen hart und stachelig, innen aber sanft und süß sind. Bildnachweis: Cori Shalit

Die frei stehenden Bunker sind ein lebensrettendes Konzept und ein Luxus, der den Schutz symbolisiert, den wir uns jetzt leisten können. Und das, weil wir einen Staat haben. In einem Luftschutzbunker ist Leben geschützt, was im Gegensatz zu allem Materialistischen nicht wieder aufgebaut werden kann, wenn es einmal zerstört ist.

Diese bemalten Bauten erzählen die Geschichte unserer alltäglichen Realität, in der wir ständig mit Sicherheitsherausforderungen konfrontiert sind. Aber sie beleuchteten auch eine einzigartige Bereitschaft sich nicht unterkriegen zu lassen.

Künstler, Kinder, Kibbuzbewohner, und von weit her angereiste Menschen,  kamen zusammen, um diese Betonblöcke zu bemalen, um sie schönzumachen, um einen Silberstreif am Horizont zu schaffen.

Oder vielleicht um den wahren Silberstreif am Horizont hervorzuheben: dass wir zu Hause sind. Das Bild vom „wandernden Juden“ gibt es nicht mehr.

Genug davon, aus einem Land nach dem anderen vertrieben zu werden. Ein Jude braucht nicht länger darum betteln, akzeptiert zu werden, oder sich für seine Sicherheit auf das Mitleid anderer verlassen. Wir haben jetzt eine Armee, denn wir haben einen eigenen Staat.

Bunker in Otef-Gaza zu Ehren von Rod Keskiner, US-amerikanischer Ehrensoldat in Uniform. Bildnachweis: Cori Shalit

Vorbei ist die Sehnsucht nach Zion; das jüdische Volk ist zu Hause.

All das ist noch immer wahr, aber meine Vision dieser Luftschutzbunker ist durch das Massaker vom 7. Oktober befleckt. Und nicht nur meine Vision, sondern auch die Luftschutzbunker, sind jetzt mit jüdischem Blut befleckt.

An diesem Samstagmorgen eilten unzählige Israelis zu diesen Schutzbauten. Die meisten glaubten sich nur vor Raketen schützen zu müssen, nur Wenige erkannten, dass sie sich vor einer viel persönlicheren Bedrohung versteckten: 3.000 Hamas-Terroristen, die aus Gaza eingedrungen waren, um so viele Menschen wie möglich wahllos abzuschlachten, zu vergewaltigen, zu foltern und zu brutalisieren.

In diesen Stunden wuchs die Dissonanz zwischen den wunderschön bemalten Unterschlüpfen und dem Bösen, das diese Mauern abzuschirmen suchen, zu einer Kluft. Die Orte, in denen Israelis Zuflucht suchten, wurden zu Todesfallen, in denen sie ihren letzten Atemzug nahmen.

Als ich am 22. September 2023 das Foto dieses grünen Bunkers, der mit einem wunderschönen Vogel bemalt ist, veröffentlichte, wusste ich nicht, welche Bedeutung er zwei Wochen später erhalten würde. Dieser Bunker wurde am 7. Oktober zum Schauplatz Aner Shapira’s Heldenhaftigkeit und leider auch seines Todes.

Bunker im Otef mit einem Gemälde eines Eisvogels, der am 7. Oktober für viele zur Todesfalle wurde. Bildnachweis: Cori Shalit

Junge Israelis, die vom Nova Musikfestival in Re’im geflohen waren, füllten den Schutzbau. Als Hamas-Terroristen immer wieder Handgranaten hineinwarfen, schleuderte Aner in erbittertem Kampf eine Granate nach der anderen zurück auf die Terroristen. Er rettete die anderen Zivilisten im Luftschutzbunker vor sieben Granaten, die Achte tötete ihn [und viele Andere. Einige wurden verletzt und nach Gaza verschleppt, wenige blieben unter den Laichen verborgen und überlebten nach stundenlangem bewegungslosem warten].

Hier schreibt Nissim Gimmy über den Tod seiner Freundin Laurie in einem anderen Migunit (klicke auf den Link für ein paar Fotos, die das Gemälde zeigen). Als Alarmstufe Rot ausbrach, suchte das Paar Schutz vor den Raketen. Bald darauf warfen Hamas-Terroristen eine Granate in den Schutzbau, wodurch Nissim ohnmächtig wurde. Laurie wurde ermordet, als sie herausrannte, um sich vor dem Ersticken zu retten.

Leider gibt es viele solcher Geschichten. Viele Meguniot erscheinen auf Bildern und in Videos, da sie Teil eines Kriegsgebiets geworden sind.

Die Betonklötze waren zum Schutz errichtet, konnten die Israelis jedoch nicht vor den unaussprechlich grauenvollen Taten der Terroristen beschützen. Sie sind nur gegen eine bestimmte Art von Gewalt eingerichtet und nicht für die Art des Bösen, die unsere Augen am 7. Oktober miterleben mussten – die Gräueltaten, deren Ausmaß nicht zu erfassen ist.

Diese abscheulichen Verbrechen ereigneten sich in einer Gegend, die so viele von uns ihr Zuhause nennen, in Bauten, die ironischerweise errichtet wurden, um Leben zu retten. 

Jetzt, da sie vom Blut unseres Volkes befleckt sind, sehe ich sie in einem anderen Licht.

Dennoch stehen die Miguniot weiterhin als Zeichen unserer Unverwüstlichkeit und erzählen davon viele Geschichten.

Bunker in Aschkelon, einer Stadt im Süden Israels, die ebenfalls häufig Opfer von Raketenbeschuss wird. Bildnachweis: Cori Shalit

ÜBER DIE AUTORIN:

Nach ihrem Abschluss an der Tulane University im Jahr 2021 mit den Hauptfächern Jüdische Studien und Wirtschaftswissenschaften machte sie Aliyah durch Garin Tzabar und dient derzeit als Einzelsoldat in der COGAT-Einheit der IDF.

Weitere Ihrer Bilder könnt ihr hier finden: @bombsheltersofisrael

Noch ein paar Beispiele:

 

artwork on bomb shelter near Gaza

 

 

 

 

 

 

 

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